Mindestlohn, Mindestrente, … Oder doch lieber Ursachen bekämpfen?

Offensichtlich sehen die Politiker mittlerweile ein Problem darin, dass ein Großteil des Volkes zu wenig Geld zum Leben hat. Wir haben per Gesetz einen freien Markt, in dem sich der faire Preis durch Angebot und Nachfrage selbst findet – oder finden soll. Adam Smith (1723 – 90)  behauptete sogar, dass durch den Wettbewerb die Gemeinschaft vom Egoismus des Einzelnen profitieren würde. Also dadurch, dass jeder versucht, für sich das Beste rauszuholen, setzt sich das beste Angebot durch, bzw. sind die Anbieter gezwungen ihre Angebote permanent zu verbessern, wovon dann die ganze Gemeinschaft profitiert. Das Problem dabei ist aber, dass auch Arbeitnehmer ihre Arbeitskraft anbieten (müssen) und sich dieser Wert immer weiter nach unten bewegt hat. Ihr Können und ihre Arbeitskraft ist immer weniger wert. Sie werden durch Maschinen, Computer und billigere Arbeitskräfte in anderen Ländern ersetzt. Deswegen geht ihr Arbeitslohn folgerichtig im freien Markt nach unten. Das ist zwar toll für die Unternehmen, den Export und die Wirtschaftsbilanz, geht aber nur eine Weile gut. Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem man die Folgen nicht mehr so einfach ignorieren kann. Leider ist die einzige Lösung, die den Politikern einfällt, per Gesetz Untergrenzen (Mindestlohn) einzuziehen.

Sie wollen also die Auswirkungen, die Symptome mildern, nicht jedoch die Ursachen bekämpfen.

Aber warum wollen die Politiker die Preisfindung am freien Markt überhaupt „verbieten“? Weil sie es unfair finden? Weil sie auch ab und zu mal wirklich was für ihre Wähler tun müssen? Oder einfach nur, weil der Staat sonst zusammen bricht, wenn sich diese Entwicklung fortsetzt? Die Politiker und die Regierung sind dazu da, dem Volk zu dienen und für sein Bestes zu sorgen. Dazu gehört ja eigentlich auch, dass es einigermaßen gerecht zugeht. Gut, Gerechtigkeit ist subjektiv. Aber es kann wohl kaum im Sinne des Volkes sein, dass viele Menschen am Existenzminimum leben und scheinbar nicht gebraucht werden. Während es ein paar Wenige gibt, die nicht wissen wohin mit ihrem Geld und scheinbar ganz dringend gebraucht werden – eben weil sie so viel Geld besitzen.

Aber heißt das jetzt, dass der freie Markt nicht funktioniert und man ihn abschaffen muss? Was ja schon teilweise passiert, denn wo der freie Markt sich selbst in die „falsche Richtung reguliert“, wird er durch Gesetze abgeschafft (Subventionen, Garantien, Mindestlohn, Mietpreisbremse, etc.). Aber warum funktioniert der freie Markt denn nicht? Meiner Meinung nach liegt das daran, dass die Kräfte ungleich verteilt sind.

Kein Gleichgewicht im freien Markt

Der freie Markt ist ja ähnlich, wie in der Natur das Recht des Stärkeren. Das Gegenteil wäre die Planwirtschaft, ähnlich einem Bienen- oder Ameisen-Staat. Nur dass es im freien Markt keine (Wachstums-) Grenzen gibt. Der Stärkere kann unaufhörlich wachsen. So als würde ein Tiger irgendwann so groß werden, dass er einen ganzen Elefanten fressen kann und dann eine komplette Elefantenherde fressen kann, bzw. fressen muss, um seinen Hunger zu stillen, usw. Ist das jetzt gerecht oder fair? Oder ist das eigentlich völlig egal? Ist das vielleicht die falsche Frage? Statt über subjektive Fairness und Gerechtigkeit zu diskutieren, sollten wir uns nicht vielleicht eher fragen, ob das auf Dauer funktionieren kann?

Wie lange kann eine Gesellschaft, die auf exponentielles Wachstum setzt, bestehen?

Die Natur ist in einem natürlichen Gleichgewicht. Exzesse funktionieren nicht lange. Sie sind immer zerstörerisch für das Umfeld, sterben aber ab, sobald für ihr Wachstum keine Nahrung mehr vorhanden ist und fallen auf ein geregeltes Niveau zurück. Wenn Heuschrecken in einem riesigen Schwarm zum Beispiel keine Nahrung mehr finden, fressen sie sich gegenseitig auf. Bakterien, die sich in einem Wirtskörper exponentiell vermehren, können das nur so lange, bis der Wirtskörper tot ist. Ein Baum wächst nicht ewig, bzw. wird nicht unaufhörlich größer. Er ist zwar in einem permanenten Wachstumsprozess, der je nach  Baumart einige hundert bis tausend Jahre anhalten kann, aber nicht ewig wärt. Und wenn ein Ast zu groß wird, bricht er ab, dann kann ein neuer kleinerer Ast nachwachsen.

Das Gleiche gilt bzw. sollte für unsere Wirtschaft gelten. Allerdings wächst unsere Wirtschaft nicht wie ein Baum: erst schnell, dann immer langsamer, bis sie eine natürliche Grenze erreicht hat. Sondern genau umgekehrt. Sie muss immer mehr wachsen, immer schneller. Und das tut sie dann auch noch nicht mal symmetrisch. Es gibt auf der einen Seite ganz viele kleine Äste und auf der anderen Seite einige wenige Äste, die riesig geworden sind. Diese werden gestützt und abgesichert, damit sie nicht abbrechen oder den ganzen Baum aushebeln, umstürzen und entwurzeln. Und sie entziehen dem Rest des Baumes die ganze Kraft.

Unser freier Markt ist nicht im Gleichgewicht. Wir müssen dafür sorgen, dass die Kräfte wieder etwas gleicher verteilt werden. Dieses Kräfteverhältnis wird hauptsächlich durch das Geld resp. Kapital bestimmt.

Wir haben auf der einen Seite die Macht des Kapitals, eine kleine Gruppe unabhängiger Menschen, mit großem Vermögen und daraus resultierendem leistungslosem Einkommen, mit großem Einfluss auch in der Politik, deren einziges Ziel es ist, ihr Vermögen zu vermehren. Und sie kennen volkswirtschaftliche Zusammenhänge, wissen wie Geld funktioniert und können dieses Wissen zu ihrem Vorteil einsetzen.

Auf der anderen Seite haben wir die Masse der Bevölkerung, die kein Vermögen und deshalb kein Einkommen hat. Sie ist abhängig von Lohnarbeit („abhängig beschäftigt“), wodurch sie ihr Einkommen erzielt, also Geld bekommt, das für sie im wahrsten Sinne des Wortes lebensnotwendig ist. Diese Menschen haben nur Einfluss, wenn sie geschlossen und vereint etwas fordern, was sie kaum noch tun, weil sie mit zwei Jobs keine Zeit und keine Kraft haben, sich zu informieren, oder weil sie gelernt haben, egoistisch zu denken und froh sind, dass sie halbwegs über die Runden kommen. Sie wissen z.B. nicht, wie schädlich Zinsen für sie sind, oder wie sehr die Gesellschaft und ihre Entwicklung dazu beträgt, wenn sie keinen Erfolg haben.

Das Gleichgewicht herstellen

Die Politik versucht nicht das Gleichgewicht wieder herzustellen, sondern ein völliges Abgleiten, ein Kippen zu verhindern. Sie stellt lokal begrenzte Stützen auf, wo es notwendig ist, sie verteilt Krücken, aber sie sie verhindert nicht, dass sich das Kräfteverhältnis immer weiter und immer stärker verändert. Die Kraft der Masse und besonders die Kraft des Einzelnen in der Masse schwindet immer mehr, während die Kraft des Kapitals immer mehr wächst. Und zwar exponentiell.

Das Ironische an der Situation ist, dass die Masse selbst mit dafür sorgt, dass die Umverteilung der Kraft stattfindet. Denn die Masse erarbeitet und bezahlt die Zinsen und Dividenden, die die Vermögen der Kapitaleigentümer wachsen lässt.

Um ein Gleichgewicht herzustellen, müssen wir dem Kapital etwas von seiner Macht nehmen und sie der Masse zurückgeben. Wir müssen also – ganz plump – das Geld, das durch Zinsen und Dividenden von Arm nach Reich, von „unten nach oben“ wandert, irgendwie wieder von „oben nach unten“ umverteilen. Um das zu tun gibt es viele Möglichkeiten.

„Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern.“ – Bayerische Verfassung

1. Höhere Steuern für hohe Einkommen.
Man kann die Reichensteuer (wieder) anheben. Die „Reichensteuer“ ist der Steuersatz für Einkommen über 250 T€ und ist nicht zu verwechseln mit dem Spitzensteuersatz für Einkommen ab 75 T€. Diese Reichensteuer wurde in den letzten Jahrzehnten sukzessive von 56% auf 45 % gesenkt. Was spricht dagegen, sie wieder zu erhöhen? (Außer, dass Menschen, wie Gerard Depardieu dann nach Russland auswandern.) Sogar der IWF sieht dort Potenzial. [1]

2. Abgeltungssteuer erhöhen
Eine Erhöhung der Abgeltungssteuer von 25% auf 50% würden ca. 40 Mrd. Euro bringen, die praktisch nur von Reichen kommen würden. Denn durch die Freibeträge werden die kleinen Sparer nicht mehr belastet.

Zwischenfrage: Warum wird leistungsloses Einkommen aus Vermögen weniger stark besteuert, als Einkommen aus Arbeit? Anders gesagt: Derjenige, der arbeitet und mit seiner Arbeit einem anderen ein leistungsloses Einkommen ermöglicht, weil er dessen Zinsen zahlt, muss dafür auch noch mehr Steuern bezahlen. Ist das gerecht?

3. Erbschaftssteuer erhöhen auf bis zu 100%
Auch hier gibt es Freibeträge. Niemand muss das Haus der Eltern verkaufen, es sei denn vielleicht, es ist ein Schloss. In den nächsten 10 Jahren werden ca. 260 Mrd. € pro Jahr vererbt, wovon ein knappes Drittel (80 Mrd. €) an nur 2% der Erben geht, die ohnehin schon über ein Monatseinkommen von mehr als 10 TEUR verfügen. Was spricht dagegen, dort die Steuern zu erhöhen? [2]
(Was das für „Familienunternehmen“ bedeutet, muss man sich im Detail ansehen. Es sollten dadurch jedenfalls keine Arbeitsplätze zerstört werden.)

4. Obergrenze für persönliches Vermögen einführen
Klingt erst mal komisch, ist aber denkbar. Man verbietet einfach, dass jemand reicher als z.B. 1 Mrd. Euro werden darf. Alles Vermögen darüber hinaus muss zu 100% an den Staat übergeben werden. Einkünfte, die das Vermögen über die Grenze heben würden, müssen innerhalb eines Einkommensjahres ausgegeben (konsumiert) werden. Das Einkommen kann dann nicht mehr in Aktien oder Immobilien investiert werden, weil diese zum Vermögen zählen. Es müssen Waren oder Dienstleistungen gekauft werden, die das Vermögen nicht erhöhen.

Nicht Symptome bekämpfen, sondern Ursachen abschaffen

Das sind Möglichkeiten, die innerhalb des existierenden Systems relativ leicht umzusetzen sind. 100% Erbschaftssteuer oder Vermögensobergrenzen mögen radikal klingen, benötigen aber keine vollständige Reform unserer Wirtschaftsform. Aber mit höheren Steuern besteht natürlich auch die Gefahr der Kapital- resp. Steuerflucht (z.B. Gerard Depardieu), was wohl einer der Hauptgründe ist, weswegen die Steuern für Reiche gesenkt wurden und nicht wieder erhöht werden. Wir, der Staat, befindet sich also schon in einer Bittsteller oder Bettler-Position. Er muss dem Kapital entgegenkommen, ihm Honig ums Maul schmieren und hoffen, dass er wenigstens ein bisschen was abbekommen. Sonst droht die Gefahr, dass uns das Kapital den Geldhahn ganz zudreht. Getreu dem Motto: „Lieber wenig Steuereinnahmen, als gar keine!“ Das spiegelt sich auch in der aktuellen Diskussion um die Straffreiheit von reuigen Steuersündern wieder. Die Union vertritt eben die Position: lieber ein paar Steuereinnahmen durch Selbstanzeigen, als gar keine, weil man die Steuerhinterzieher mit legalen Mitteln nicht erwischen kann. Ist das nicht pervers?

Nun gut, nehmen wir einfach mal an, Steuererhöhungen würden funktionieren, ohne dass alle Reichen auswandern. Dann hätte der Staat damit mehr Geld zur Verfügung, müsste sich nicht weiter verschulden und könnte es investieren. Durch Investitionen werden Arbeitsplätze geschaffen und das Geld kommt wieder zur Masse zurück. Aber die Masse ist immer noch abhängig von Arbeitsplätzen und dem damit verbundenen Einkommen. Wäre es nicht besser, wir könnten der Masse etwas mehr Macht, etwas mehr Sicherheit und Unabhängigkeit geben? Also kommen wir zu wirklich radikalen Vorschlägen.

Man schafft niemals Veränderung, indem man das Bestehende bekämpft. Um etwas zu verändern, baut man neue Modelle, die das Alte überflüssig machen.Buckminster Fuller

5. Geldsystemreform mit Vollgeld und Umlaufimpuls.
Um der Zentralbank mehr Kontrolle über die Geldmenge zu geben, wird das „Vollgeld“ eingeführt: per Gesetz wird alles „Geld“ auf Girokonten zu gesetzlichem Zahlungsmittel (Euro) deklariert, wodurch die Geschäftsbanken dieses nicht mehr durch Kredite schöpfen dürfen.
Viel wichtiger aber ist ein Umlaufimpuls. Geld wird mit einer Gebühr für „Nicht-Benutzung“ belegt. Ja, für die meisten klingt es völlig bescheuert oder nach einer neuen Möglichkeit den „kleinen Mann“ zu schröpfen, aber tatsächlich ist das Gegenteil der Fall. Das Geld ist nämlich aktuell auch schon mit einer Gebühr belegt, nämlich den Zinsen. Und diese Gebühr wird denen auferlegt, die Geld benutzen, hauptsächlich der Masse. Diejenigen, die Geld nicht benutzen, es zurückhalten, sind die Empfänger (Netto-Gewinner) dieser Gebühr: Super-Reiche. Mit einem Umlaufimpuls wird es den Super-Reichen vielleicht nicht unmöglich gemacht, aber wenigstens erschwert, ihr Geld zu vermehren. Statt Zinsen zu bekommen, die ihr Vermögen vermehren, müssen sie nun Geld bezahlen, um den Wert ihres Geldvermögens zu erhalten. Der kleine Sparer gewinnt aber dabei, denn die Gebühren, die er zahlt, wenn er etwas für die Rente zurück legt, ist nur ein Bruchteil dessen, was er aktuell an versteckten Zinsen in Preisen zahlt. Den Großteil der neuen Gebühren werden die super-reichen Kapitalhalter zahlen. Der Empfänger dieser neuen Gebühr ist die Zentralbank, also der Staat, also die gesamte Gesellschaft.

Somit nimmt man dem Kapital etwas von seiner Macht. Aber diese Macht muss man nun noch auf die Masse übertragen.

6. Mindesteinkommen
Bei all dem Geschrei nach Mindestlohn und Mindestrente ist es doch eigentlich nur ein kleiner Schritt zu einem Mindesteinkommen, oder nicht? Die Politiker haben erkannt, dass viele Menschen zu wenig Geld zum Leben haben und wollen ihnen irgendwie garantieren, dass das, was sie bekommen reicht, um nicht in Armut leben zu müssen. Warum nicht einfach jedem Menschen ein Gehalt, ein Mindesteinkommen auszahlen? Statt eines Ersatz-Einkommens (Hartz IV) zu zahlen, könnte man doch auch einfach alle Kontrollen, Prüfungen und Gesetze weglassen und jedem Menschen eine Grundsicherung auszahlen.

Ein staatlich garantiertes und staatlich gezahltes Mindesteinkommen, das, unabhängig vom Beschäftigungsgrad, die Existenz sichert. Ein bedingungsloses Mindest- oder Grundeinkommen.

Somit sind Probleme, wie Mindestlohn und Mindestrente vom Tisch. Und es versetzt die Menschen in die einzigartige Lage, Lohnverhandlungen auf Augenhöhe mit den Arbeitgebern zu führen, weil sie nicht mehr (so sehr) von einem Arbeitseinkommen abhängig sind.

Wenn der Staat Geld über Steuern und/oder Umlaufimpuls einnimmt und dieses dann über ein Mindesteinkommen auf alle Menschen verteilt, gleicht dies das Kräfteverhältnis aus. Und Fehlentwicklungen des freien Marktes, wie der Niedriglohnsektor oder zu hohe Mieten, werden sich von alleine regulieren. Verzweiflungstaten, wie Subventionen und Kurzarbeitergeld, werden dann auch nicht mehr benötigt.

Das sind die drei neuen Säulen, auf die ich eine Gesellschaft stellen würde. Eine exakte kontrollierte Geldmenge durch Vollgeld, ein Umlaufimpuls, der verhindert, dass Geldkapital sich aus sich selbst heraus vermehrt, sowie ein Grundeinkommen, das allen Menschen ein Einkommen sichert, um so die Kräfte auf dem freien Markt gleichmäßiger zu verteilen.

All das wird der Motivation der Menschen keinen Abbruch tun. Sie können weiterhin soviel Geld verdienen, wie sie wollen, sie können immer noch reich werden. Die Motivation wird eher sogar noch zunehmen, denn es wird zwar schwerer sein, aus Geld noch mehr Geld zu machen, aber dafür wird sich harte Arbeit wieder viel mehr lohnen als jetzt.

[1] Zeit: Ran an die Reichen

[2] erben in Deutschland
geldtipps: Trotz Erbschaft an Altersvorsorge denken
empirica: Erben in Deutschland
google: Viele erben wenig, wenige erben viel