Mit BGE gibt es nicht mehr Geld …

In der Diskussion um das BGE und dessen Auswirkungen auf Löhne und Einkommen hört man immer wieder folgende Aussage:

„Das BGE kommt nicht von oben und nicht oben drauf. Es gibt nicht mehr Geld, sondern das BGE wächst in den bestehenden Lohn hinein.“

Ich finde diese Aussage irreführend. Es klingt, als gäbe es mit dem BGE ein Gesetz, das den Lohn um das BGE kürzt. Oder als würden alle Arbeitnehmer direkt ohne Widerspruch eine Kürzung ihres Lohns um das BGE hinnehmen. Und als hätten wir alle so hohe Löhne, dass sich ein BGE nur marginal auswirken würde.

Wenn es nicht von oben kommt, dann aber wenigstens von der Seite, oder? Denn es kommt ja völlig unabhängig von irgendwo her. Ein gutes Beispiel für ein „Reinwachsen“ ist übrigens Hartz IV. Wer weniger als Hartz IV zum Leben zur Verfügung hat, dem wird genau so viel Unterstützung gewährt, dass er den gesetzlichen Mindestbetrag erreicht. Der Lohn unterhalb dieser Grenze wächst sozusagen in den Maximalbetrag rein.

Aber das BGE kommt ja eigentlich doch oben drauf, nur dass sich voraussichtlich die Löhne durch das BGE ändern werden. Das ist ja eben eine Idee des BGE, dass sich die Menschen, die durch ein gewisses Grundeinkommen versorgt sind, mit weniger Lohn zufrieden geben werden. Wie viel weniger das ist, wird der freie Markt entscheiden. Die  pauschale Aussage „Es gibt nicht mehr Geld.“ finde ich einfach zu kurz gegriffen.

Ich werde meine Überlegungen hier mal genauer darlegen und die Situation für Deutschland im Detail betrachten.

Die Höhe des BGE variiert in der Diskussion. Die Grundidee ist jedoch, dass es Existenz-sichernd ist und eine gewisse kulturelle Teilhabe ermöglicht. Dazu muss es über der Armutsgrenze liegen. Für meine Überlegungen nehme ich ein BGE von € 1000 an, für Kinder die Hälfte. Somit ständen einer Familie mit 2 Kindern € 3000 zur Verfügung.

Es gibt 36 Mio. Haushalte. Diese sind nach bpb in 5 Gruppen eingeteilt. Gruppe 1 und 2 fasse ich hier zu einer zusammen.

Gruppe 1
7 Mio HH (ca. 19%,) Nettoeinkommen < € 1300, 1,2 Personen
12 Mio HH (ca. 32%,) Nettoeinkommen € 1300 bis € 2600, 1,6 Personen
Hier sind die meisten Single-Haushalten angesiedelt. Das Grundeinkommen beträgt hier im Schnitt € 1000 – € 2000. Es wird also das aktuelle Einkommen teilweise überschreiten und teilweise knapp darunter liegen. In dieser Gruppe sind auch die meisten Empfänger staatlicher Transferleistungen enthalten.

Gruppe 2
7 Mio HH  (19%), Nettoeinkommen € 2600 bis € 3600, 2,1 Personen
Hier sind sind überwiegend Paare ohne Kinder bzw. Alleinerziehende mit einem Kind. Wobei die Alleinerziehenden eher am unteren Ende, die Paare eher am oberen Ende der Lohnspanne anzusiedeln sind. Das BGE beträgt hier € 1500 bis € 2500 und liegt somit bei ca. 60% – 90% des aktuellen Einkommens.

Gruppe 3
6 Mio (16%) Nettoeinkommen € 3600 bis € 5000, 2,6 Personen
Das BGE beträgt ca. € 2000 – € 2500, also max. ca. 70%.

Gruppe 4
5 Mio (14%) Nettoeinkommen über € 5000, 3 Personen
Hier sind die meisten Familien mit Kindern angesiedelt. Das BGE beträgt ca. € 2500 – € 3000, also max. ca. 50%.

Bei Gruppe 1 und 2 „pendelt“ das BGE knapp um das aktuelle Einkommen. Es ist anzunehmen, dass die meisten Menschen nicht umsonst oder für einen Bruchteil (< 30%) ihres alten Nettoeinkommens arbeiten, bzw. einer Lohnarbeit nachkommen werden. Dies sind bereits 50% aller Haushalte.

In Gruppe 2, 3 und 4 dürften auch einige HH dabei sein, bei denen sich das Einkommen aus zwei Lohneinkommen zusammen setzt. Z.B. € 2000 Hauptverdiener plus € 1000 des Partners, gegebenenfalls der Elternteil, der Teilzeitarbeit arbeitet und auch noch die Kinder betreut. Es ist nun die Frage, für wie viel Lohn der Hauptverdiener arbeiten geht, wenn der Familie (mit einem Kind) bereits € 2500 BGE zur Verfügung stehen. Wenn weiterhin beide Eltern arbeiten gehen würden, würden Löhne von € 300 sowie € 200 ausreichen, um die gewohnten € 3000 zu erreichen. Das wird in der Praxis aber wohl kaum geschehen. Man kann nun argumentieren, dass es ja reichen würde, wenn der Hauptverdiener die „fehlenden“ € 500 erarbeitet. Aber ich bezweifle, dass das passieren würde. Viel wahrscheinlicher ist es, dass jeder Arbeitnehmer seinen für sich notwendigen Lohn berechnen wird, als wäre er Single. Denn warum sollte sich ein Partner in einem Haushalt auf das BGE des anderen verlassen, und sich mit weniger Lohn zufrieden geben, als ein Single in der gleichen Position? Wenn er das täte, müsste er bei Trennung oder Tod des Partners seinen Lohn neu verhandeln.
Somit würde sich in diesem Beispiel der Hauptverdiener mit nicht weniger als € 1000 zufrieden geben. Somit kämen wir schon auf € 3500 Gesamteinkommen (€ 500 mehr als vorher), wobei der Partner dafür noch gar nicht arbeiten müsste.

Kommen wir nun zu den Topverdienern, in Gruppe 4.
Hier könnte man nun am ehesten argumentieren, dass der Arbeitnehmer eine Kürzung des Lohns um das BGE akzeptiert. Ich glaube aber, dass das auch hier nur teilweise zutreffen wird. Nehmen wir beispielsweise eine Familie mit 2 Kinder und einem Hauptverdiener mit € 5000. Dieser wird sich sicherlich nicht das BGE der Familie vom Lohn abziehen lassen und für € 2000 weiter arbeiten, sondern allerhöchstens sein Eigenes. In der Gruppe der Topverdiener ist auch die Konkurrenz nicht so hoch. Gut ausgebildete Spezialisten sind rar, deswegen können sie auch diese hohen Gehälter verlangen. Dadurch wird dort auch durch BGE kaum Lohndruck entstehen. Für das Beispiel hier heißt das: Der neue Lohn des Hauptverdieners wird ca. € 4000 sein, womit das neue HH-Einkommen € 7000 beträgt, also € 2000 mehr als vorher.

Wer nun für welchen Lohn arbeiten geht, hängt wohl stark vom Einzelnen ab und darüber lässt sich nur spekulieren. Das wird sich im „freie Markt“ finden. Jeder Arbeitnehmer verhandelt doch jetzt schon seinen Lohn, als wäre er Single. Niemand lässt sich nach einer Heirat den Lohn kürzen, weil er über den Partner ja ein weiteres Einkommen hat. Und niemand lässt sich den Lohn um das Kindergeld kürzen.

„Das BGE kommt nicht von oben und nicht oben drauf. Es gibt nicht mehr Geld, sondern das BGE wächst in den bestehenden Lohn hinein.“

Wie bereits gesagt, finde ich diese Aussage irreführend. Besonders das Beispiel im Film „Grundeinkommen – Ein Kulturimpuls“. (Nichts gegen den Film, ich finde ihn prima, bin jedoch bei diesen Überlegungen anderer Meinung.) Warum sollte sich der Hauptverdiener einer Familie das Haushalts-BGE anrechnen lassen? Das macht meiner Meinung nach keinen Sinn. Jemand der € 3000 BGE im Rücken hat, und zwei Kinder, geht nicht für € 500 Vollzeit arbeiten! Ich denke, viele werden die Sicherheit des BGE nutzen und lieber mehr Zeit mit der Familie verbringen und vielleicht auch nur Teilzeit arbeiten – wenn es sich finanziell lohnt.

Ich glaube auch nicht, dass diejenigen, die aktuell weniger als das zweifache des BGE verdienen, sich das BGE abziehen lassen um für einen Bruchteil des BGE’s weiter zu arbeiten. Ich kann mir gut vorstellen, dass jemand, der aktuell € 1800 hat, mit BGE nicht € 800 sondern € 1000 Lohn fordert; bei € 1600 vielleicht € 800, etc. Denn die Arbeitnehmer wissen ja, dass die Arbeitgeber durch die Lohnsenkung Kosten sparen. Warum sollten sie diese Ersparnis den Arbeitgebern komplett überlassen, statt sich irgendwo „in der Mitte zu treffen“? Mehr Netto-Gesamteinkommen für den Arbeitnehmer bei gleichzeitiger Kostensenkung für den Arbeitgeber – klingt doch für beide Seiten gut, oder!?

Man kann jetzt behaupten, dass die neuen Löhne inkl. BGE nicht über die alten Löhne steigen dürfen, weil sonst mit der einhergehenden Finanzierung des BGE die Preise steigen würden. Wie es z.B. bei einem Konsumsteuer-finanzierten BGE gedacht ist. Aber zum einen kommt es eben auf das Finanzierungsmodell an. (Ich persönlich bin kein großer Freund der Konsumsteuer und würde Kapitalerträge und sehr hohe Einkommen stärker in die Finanzierung einbinden.) Zum anderen sind dem Arbeitnehmer solche Überlegungen bei der Gehaltsverhandlung fremd. Und gerade mit BGE hat und soll er ja die Freiheit haben „Nein“ zu sagen und erst für den Lohn arbeiten gehen, den er für fair hält. Vielleicht werden dadurch einige Preise ein wenig steigen. Wie z.B. die immer wieder kehrende Frage/Antwort zum BGE: Wer macht denn dann die unliebsame (Drecks-) Arbeit? – Der der den Dreck macht, oder er muss eben mehr dafür bezahlen. (Also widersprechen die „Es gibt nicht mehr Geld“-Sager sich schon selbst bzw. räumen schon ein, dass es sogar in ihren Augen mindestens zwei Gruppen von Menschen gibt, die mit BGE doch mehr Geld haben: 1. die aktuell weniger als BGE haben. 2. die die unliebsame Arbeit machen.)

Mehr als 50% aller persönlichen Einkommen liegen unter € 2000. [1] D.h. bei € 1000 BGE dürften meiner Meinung nach etwa die Hälfte aller Arbeitenden mit BGE + neuem Lohn mehr Netto zur Verfügung haben. Für Haushalte betrachtet, dürfte die Quote noch weit höher, bei über 70%, liegen. (Gruppe 1+2 sind bereits 70% aller Haushalte.)

Die Aussage „Es gibt nicht mehr Geld“ muss also sehr differenziert betrachtet werden. Sie wird weniger als die Hälfte der Bevölkerung betreffen. Nicht nur diejenigen, die weniger als das BGE haben, auch diejenigen, die aktuell nur wenig mehr als das BGE verdienen, werden mit BGE ein höheres Gesamteinkommen haben.

Ich behaupte:
Die meisten Menschen, besonders Familien, werden mit BGE ein bisschen mehr netto haben. Lediglich für einige Singles und Spitzen-Verdiener wird sich das BGE kaum bemerkbar machen.

Will man das ändern, muss man die Höhe des BGE senken, damit der Abstand zu den aktuellen Löhnen größer und der Arbeitszwang höher wird. So würde das BGE schnell unter die Armutsgrenze fallen. Das sollte meiner Meinung nach nicht das Ziel eines echten bedingungslosen Grundeinkommens sein.

[1] destatis.de